Dass Sophie eine mutige Kämpferin war, das hatte ihre Flucht mit den Kindern nach Italien bewiesen. Aber im April 1812 traf sie den äußerst unkonventionellen Entschluss, Knorring, den sie 1810 geheiratet hatte und der sich wegen Erbschaftsangelegenheiten in seiner Heimat aufhielt, mitten durch die Wirren der Napoleonischen Kriege nach Estland zu folgen. Zusammen mit einem Kammerdiener, dessen Frau als Zofe, einem Polen und ihrem zehnjährigen Sohn machte sie sich auf den Weg. Der Sohn Felix wird diese Reise später in seinen Erinnerungen beschreiben und einen Eindruck von der Abenteuerlichkeit eines solchen Unternehmens geben. Acht Jahre wird Sophie Tieck nun in Estland, das damals russisch war, verbringen. Die zusammengeführte kleine Familie bewohnte zusammen mit Bediensteten das in Knorringschem Familienbesitz befindliche Gut Arroküll im Gebiet Ostjerwen nahe der Hauptstadt Reval/heute Tallinn und der kleinen Universitätsstadt Dorpat/heute Tartu. Sophie, die im fernen Estland schon als Schriftstellerin bekannt war, knüpfte zu dem Bibliotheksdirektor der Universität Karl Morgenstern einen engen Kontakt.
Das Gut befand sich bei Ankunft in ziemlich desolatem Zustand. Als Gutsherrin hatte die junge Frau völlig fremde Pflichten zu übernehmen, für die sie ein durchaus ernsthaftes Interesse entwickelte. Das geht aus ihrer regelmäßigen Korrespondenz mit Friedrich Tieck hervor. Auch für Geselligkeit wurde gesorgt. Mit den in der Nähe wohnenden Adelsfamilien von Rosen und Krusenstern verbrachte man Abende und Feiertage.
1820 kehrte die damals 45jährige Sophie noch einmal mit Knorring und Felix nach Deutschland zurück, nachdem Arroküll verkauft worden war. Felix immatrikulierte sich an der Universität Heidelberg, und die Familie blieb zwei Jahre in dieser Stadt. Sophie hatte den Traum, das einstige romantische Bündnis wieder aufleben zu lassen. Aber selbst das einstige innige Verhältnis zum Bruder Ludwig ließ sich nicht wieder erneuern und zeigte die Entfremdung zwischen den Geschwistern.
1822 starb der Bruder Knorrings, der das Familiengut Erwita, das sich ganz in der Nähe von Arroküll befand, bewohnt hatte. Knorring und Sophie sahen sich gezwungen, die Erbschaftsangelegenheiten vor Ort zu regeln. Felix blieb in Heidelberg. Der ursprünglich geplante Kurzaufenthalt in Ostjerwen entwickelte sich zu einem Bleiben im Baltikum bis zum Lebensende Sophies. Wieder musste sich Sophie mit Dingen befassen, die mit ihren „natürlichen Neigungen“ nicht übereinstimmten. Obwohl von ewiger Sehnsucht nach der Heimat gequält, war sie produktiv und arbeitete an ihrem dreiteiligen Roman Evremont, den Ludwig Tieck posthum herausgab. Mit Knorring verband sie eine gleichberechtigte Partnerschaft. Er brachte Beständigkeit in ihr Leben, obwohl er natürlich die Sophie bedrückende Einsamkeit der östlichen Einöde nicht auslöschen konnte.
Die letzten drei Jahre ihres Lebens lebten Sophie und Knorring in Reval, da Erwita versteigert werden musste. Sophie starb am 1. Oktober 1833 und wurde auf dem Friedhof der St. Olai-Kirche in Reval begraben.